shut up and listen! 2016 |
|||
ME, MYSELF OR I |
Donnerstag, 8. Dezember 2016, 21.15
[Bernhard Gál]
Umwege führen oft zu spannenderen, da nicht anvisierten Zielen. Franz Hautzinger ist lange, kurvenreiche Umwege gegangen und in nicht wenige Sackgassen abgebogen, er hat Jahre ohne instrumentale Aktivität ebenso hinter sich wie einen hoffnungsvollen Neustart. All das, diese Siege und Niederlagen, diese „Geschichte vom totalen Absturz zum ‚Notstandsindividualismus’“, wie er selbst sie einmal beschrieben hat, ließen Franz Hautzinger zu jener profilstarken Musikerpersönlichkeit reifen, die ihn heute ausmacht. Geboren am 11. März 1963 im burgenländischen Seewinkel, bedeutete ein Konzert von Hannibal Marvin Peterson in der Jazzgalerie Nickelsdorf das „Erweckungserlebnis“ des jungen Trompeters. Von 1981 bis 1983 studierte er an der Jazzabteilung der heutigen Kunstuniversität Graz, bis eine Lippenlähmung eine sechsjährige Total-Pause als Trompeter erzwang. 1986 nach Wien übersiedelt, begann er ab 1989 die Trompete auf ureigene, unakademische Weise zu erforschen. Er fand Anschluss an die Kreise um Christoph Cech und Christian Mühlbacher, spielte in der Bigband „Nouvelle Cuisine“ und im Oktett „Striped Roses“; die 1993 mit Saxofonist Helge Hinteregger eingespielte, von Sampler-Collagen geprägte CD „Zong of se Boboolink“ bedeutete das erste eigenverantwortete CD-Statement. Das Jahr 1995 brachte durch einen zehnmonatigen London-Aufenthalt wichtige Impulse und Kontakte u. a. mit Kenny Wheeler, Henry Lowther, John Russell und Steve Noble, die Anregungen verarbeitete Hautzinger auf höchst unterschiedliche Weise: im von wechselnden Besetzungen geprägten „Regenorchester“, im Quartett mit Helge Hinteregger, Oren Marshall und Steve Noble sowie im Trio „Speakers’ Corner“ mit Gitarrist Martin Siewert und Schlagzeuger Wolfgang Reisinger. Die bewusste Entscheidung, auf elektronische Soundquellen zu verzichten, die Entwicklung digitaler Musik freilich auf der Trompete – der 1997 erworbene Vierteltontrompete – nachzuvollziehen, waren entscheidende Etappen für die Entstehung von Franz Hautzingers Aufsehen erregender Solo-Trompeten-CD Gomberg (2000), in dessen Rahmen er jenen neuen, bis dato ungehörten Kosmos von Sounds präsentierte, den er auf seinem Instrument entwickelt hatte. Mit Gomberg positionierte sich Hautzinger an vorderster Front der internationalen Improvisationsavantgarde; Kollaborationen und CD-Einspielungen mit Derek Bailey, den „AMM“-Veteranen Keith Rowe und John Tilbury sowie Axel Dörner, Christian Fennesz oder Otomo Yoshihide und Sachiko M folgten. Das Eintauchen in die Welt der entschleunigten Klangmikroskopie und ab 2003 die lustvolle Wiederentdeckung musikalischer Sinnlichkeit, die Konfrontation seiner Trompetensounds mit Groove und Melodik („Regenorchester XI“ und XII) können als wichtige Entwicklungsschritte betrachtet werden. Heute ist Franz Hautzinger, der seit 1989 an der Wiener Musikuniversität unterrichtet, der seit 1999 Mitglied im Berliner Ensemble „Zeitkratzer“ ist und Kompositionsaufträge u. a. vom Klangforum Wien erhielt, ein Weltreisender, dessen unverwechselbare musikalische Signatur zwischen Wien und Berlin, London und Beirut, Tokio, New York und Chicago ein Begriff ist. Franz Hautzinger hat gezeigt, dass man selbst in Zeiten, in der die Postmoderne längst Geschichte ist, ein Instrument noch immer neu erfinden kann. [Andreas Felber] |
||||||